Wie funktioniert Whole Brain® Thinking in einem Großunternehmen? Und wie lassen sich interaktive Workshops umsetzen, wenn von heute auf morgen ganze Teams im Home Office arbeiten? Sophia Erfurt, Leiterin Organisationsentwicklung & Change Management bei der BAUR-Gruppe, und Sibylle Bechtel, Referentin Personalentwicklung, berichten im Interview, wie sie Whole Brain® Thinking in die Unternehmenskultur der BAUR-Gruppe integriert haben und teilen ihre Best Practices für den virtuellen Einsatz des HBDI®.
In welchem Kontext setzt ihr das HBDI® ein?
Wir nutzen das HBDI® im Kontext unserer Führungskräfteentwicklung sowie für Teamtrainings. Erstmals hatten wir es vor einigen Jahren bei einer Entwicklungsreihe für Nachwuchs-Führungskräfte im Einsatz. Im großen Stil haben wir es allerdings erst im Rahmen unserer Führungskräftetrainings 2019 eingeführt. Über 300 Führungskräfte der BAUR-Gruppe haben hier ihr persönliches Profil erhalten.
Auch in der Personalauswahl arbeiten wir teilweise ergänzend damit im Rahmen von Assessment Centern oder im Recruiting. Dafür erstellen wir vorab ein Pro Forma Profil der jeweiligen Stelle und briefen unsere Recruiter, wie sie ein Schätzprofil des jeweiligen Bewerbers skizzieren können – oder einer unserer HBDI®-Trainer nimmt selbst am Assessment teil. Das HBDI® verstehen wir dabei nicht als alleiniges Auswahlwerkzeug, sondern als einen von vielen Indikatoren, inwieweit ein Kandidat auf die Anforderungen einer Stelle passt. Darüber hinaus setzen wir das HBDI® auch im Rahmen von Einzelcoachings ein, wenn beispielsweise ein Mitarbeiter seine Position innerhalb des Unternehmens wechseln möchte.
Wie habt ihr das HBDI® kommunikativ integriert?
Das HBDI® ist in unserer Kommunikation beinahe omnipräsent. Wir bieten regelmäßig Teamworkshops mit HBDI®-Parts an und haben sogar einen eigenen Kanal bei Teams für dieses Thema. In unserem Intranet haben wir zudem die wichtigsten Infos rund um das HBDI® zusammengefasst – beispielsweise finden unsere Mitarbeiter dort eine Anleitung, wie sie ihr persönliches Profil freischalten können. Aber auch in der alltäglichen Kommunikation spielt Whole Brain® Thinking immer wieder eine Rolle. Schließlich ist es immer dann relevant, wenn es um menschliche Interaktion geht – und das ist im Arbeitskontext ja beinahe täglich der Fall. In Stresssituationen schleicht sich manchmal auch Schubladendenken ein: “Ist der heute aber wieder rot!”. In solchen Situationen versuchen wir uns gegenseitig zu sensibilisieren, dass das HBDI® ein grundsätzlich wertfreies Instrument ist. Egal ob Rot, Grün, Blau oder Gelb – jede Präferenz hat ihre Berechtigung und das ist auch gut so.
Tools, die Selbstreflexion erfordern, laufen im beruflichen Kontext ja nicht immer gleich offene Türen ein. Wie war eure Erfahrung?
Tatsächlich gab es bei uns keinerlei Anlaufschwierigkeiten. Nach unseren ersten Erfahrungen im Rahmen der Führungskräftetrainings, war schnell auch das Interesse auf Mitarbeiterseite geweckt, über Denkstile zu sprechen und natürlich auch zu erfahren, wie das eigene Profil aussieht. Mittlerweile fragen auch immer mal wieder Kollegen nach ergänzenden Workshops zu spezielleren Themen.
Wie gestaltet ihr eure Teamworkshops?
Zunächst einmal holen wir alle Beteiligten zum Modell und dessen Hintergründen ab. Als Basis dienen uns hier die anschaulich gestalteten Folien von Herrmann. Je nachdem, mit welcher Herausforderung ein Team konfrontiert ist, wählen wir unterschiedliche Methoden und Inhalte, um den Workshop zu gestalten. “Mapping the task” ist bei uns beispielsweise ein beliebtes Framework, wenn ein Team sein Aufgabenfeld erweitert. Wenn ein Konflikt im Raum steht, sensibilisieren wir mit dem HBDI® für die verschiedenen Perspektiven auf den Sachverhalt. Für den Transfer in die Praxis greifen wir gerne zur Brainmat und zum Schätzprofil. Es ist immer wieder eine spannende Erfahrung, wie die Kollegen gegenseitig ihre Profile einschätzen, noch bevor diese ausgehändigt wurden.
Welche Best Practices habt ihr für den Einsatz des HBDI® im virtuellen Raum mitgenommen?
Wichtig ist sicherlich zunächst, eine virtuelle Infrastruktur zu schaffen, die zugänglich und gleichzeitig vertraut genug ist, um auch sensible Themen zu adressieren. Wir legen pro Workshop einen eigenen, privaten Microsoft Teams Kanal an. Dieser Kanal ist sozusagen unser Workshopraum, in dem “hinter verschlossenen Türen” Team-interne Themen besprochen werden können, die nicht für die Allgemeinheit bestimmt sind. Vorab veröffentlichen wir zudem Datenschutzhinweise, denen jeder Teilnehmer zustimmen muss – darunter zum Beispiel der Hinweis, dass keine Screenshots von Profilen Dritter gemacht werden dürfen.
Vor Beginn des Workshops bekommt jeder Teilnehmer sein eigenes Profil ausgehändigt – in der aktuellen Zeit auch gerne die digitale Variante, wenn die Profilmappe nicht rechtzeitig im Home Office ankommt. Wir weisen darauf hin, dass wir die Mappen oder digitalen Profile gern gemeinsam öffnen möchten – nach dem ersten Theorieteil im Workshop. Das vermeidet unnötige Aufregung, insbesondere bei Kollegen, die einen Vermeidungsbereich bei sich entdecken und dies aber ohne die Theorie noch gar nicht richtig einordnen können. Schließlich gibt es kein richtig oder falsch.
Je nach Größe der Gruppe teilen wir das Team zur Besprechung der Profile dann in Kleingruppen mit je einem Trainer, um sich intensiver jedem einzelnen Profil widmen zu können. Alternativ arbeiten wir auch gerne mit dem Teamprofil, weil es die verschiedenen Denkstile innerhalb eines Teams sehr übersichtlich darstellt, ohne dass man 15 Profilkreisscheiben nebeneinander legen muss.
Für die Workshopgestaltung selbst greifen wir zu virtuellen Pendants der interaktiven Formate, die wir auch bei Präsenzworkshops nutzen. Zum Beispiel haben wir in Powerpoint eine interaktive Brainmat gebastelt und Piktogramme mit den Namen der Teilnehmer versehen, sodass sich jeder entsprechend seines Denkstils positionieren kann. Ebenfalls gute Erfahrungen haben wir mit Ratespielen gemacht: Die Profilkreisscheiben der Teilnehmer werden mit verdecktem Namen eingeblendet und jeder darf eine begründete Schätzung abgeben, wer sich hinter dem Profil verbirgt (“Das muss Frank sein, weil…). Ein spannender Transfer zwischen Theorie und Anwendung, der gleichzeitig das Miteinander im Team fördert.
Nun arbeitet ihr schon als mehr als zwei Jahren intensiv mit dem HBDI®. Welche Erfolge konntet ihr bisher feststellen?
Was wir definitiv sagen können: Das Verständnis füreinander ist seitdem merklich gestiegen. Es findet mehr Austausch statt; besonders, wenn Profile sich in einem Quadranten in der Vermeidung befinden – sprich: einem Kollegen eine bestimmte Denkweise so gar nicht liegt. Gleichzeitig nutzen wir aber auch die Stärken unserer Kollegen wesentlich gezielter und stellen immer wieder fest, dass der Frust einzelner oft von einem bestimmten Denkstil herrührt. Das macht es einfacher, damit umzugehen und sorgt letztlich auch dafür, dass Unstimmigkeiten gar nicht erst entstehen oder zumindest schneller ausgeräumt werden können.
Der Einsatz des Teamprofils hat uns besonders in Zeiten des Corona-Lockdowns sehr geholfen, innerhalb neu zusammengestellter Teams trotz der räumlichen Distanz ein Gemeinschaftsgefühl zu entwickeln und die Sicherheit zu gewinnen: Aha, wir sind ein heterogenes Team und super aufgestellt, um später auch live zusammenzuarbeiten.
Nach dem spannenden Einblick in eure aktuelle Praxis ein Blick in die Zukunft: Habt ihr Pläne, welches Projekt ihr mit dem HBDI® als nächstes angehen möchtet?
Unser Ziel ist, dass Whole Brain® Denken ein fester Bestandteil unserer Kommunikation wird, weil wir die Erfahrung gemacht haben, dass die Sensibilisierung für die verschiedenen Denkstile unser Miteinander auf ein neues kommunikatives Level hebt. Das zu erreichen ist natürlich ein längerer Prozess, den wir mit regelmäßigen Angeboten zur Vertiefung des bestehenden HBDI®-Wissens begleiten möchten. Auch im Bereich Einzelcoachings und Teamworkshops wollen wir uns noch weiterentwickeln – als nächstes interessiert uns zum Beispiel der Einsatz des Team Effectiveness Dashboards, um die Stärken eines Team im Kontext bestimmter Ziele und Herausforderungen zu analysieren.
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