Es könnte so einfach sein: Die Zeiten von Lockdowns und Social Distancing sind vorbei und die Pandemie hat ein Umdenken beschleunigt, was lange überfällig war: Eine hybride Arbeitswelt, in der jeder entscheiden kann, wann und wo er arbeitet. Wer Gefallen am Home Office gefunden hat, arbeitet einfach weiter von zuhause und wer die räumliche Trennung zwischen Home und Office in den vergangenen Jahren vermisst hat, kommt zurück ins Büro.

Eigentlich ganz einfach, oder?

Nicht ganz. Laut einer aktuellen Slack Studie, an der mehr als 10.000 Angestellte und Führungskräfte teilgenommen haben, sorgen sich 41 % der Befragten um die negativen Auswirkungen hybrider Arbeitsmodelle auf die Unternehmenskultur. Sie befürchten, dass Mitarbeiter:innen, die ganz oder überwiegend remote arbeiten gegenüber ihren Kolleg:innen vor Ort im Nachteil sein könnten.

As companies implement return-to-office policies, calling more employees back to the office, knowledge workers’ work-related stress and anxiety has hit the highest levels since our surveying began in the summer of 2020.

Und diese Sorge ist nicht unbegründet, wenn wir uns das psychologische Phänomen des Proximity Bias anschauen. Es beschreibt die unbewusste kognitiven Verzerrung, bei der wir Menschen bevorzugt behandeln, die uns räumlich näher sind.

Im Kontext hybrider Arbeit kann das zum Beispiel so aussehen:

  • Wenn Du eine zweite Meinung brauchst, fragst du lieber Deinen Tischnachbarn, als Deine Kollegin im Home Office, obwohl diese den Sachverhalt fachlich besser bewerten könnte.

  • In hybriden Meetings liegt der größte Redeanteil bei den Anwesenden im Meetingraum, während die remote zugeschalteten Teammitglieder seltener zu Wort kommen.
  • Die Kolleg:innen im Büro erscheinen Dir produktiver als diejenigen, die Du nur wenige Minuten am Tag im virtuellen Stand-up siehst.

Na, erwischt? 😉 Keine Sorge, damit bist Du nicht allein. Wir alle tappen hin und wieder unbewusst in kognitive Fallen. Unser Gehirn meint es gut mit uns und sucht Abkürzungen, damit wir nicht jede der 11 Millionen Sinneseindrücke aktiv verarbeiten müssen, mit denen wir sekündlich konfrontiert sind. Weiteren Input dazu findest Du auch in unserem Whitepaper zum Thema Unconscious Bias.

Doch wie lässt es sich vermeiden, dass der Proximity Bias die Zusammenarbeit negativ beeinflusst?

Wir haben vier Tipps für Dich, wie Du den Herausforderungen hybrider Arbeit “whole brain” begegnen kannst.

Nutze digitale Tools – aber richtig! 

Aus den Erfahrungen der Lockdowns wissen wir alle: Kaum ein Prozess in der Teamarbeit lässt sich nicht auch digital abbilden. Theoretisch wäre es also möglich, nahezu identische technische Rahmenbedingungen für remote arbeitende Teammitglieder und ihre Kolleg:innen im Büro zu schaffen. Theoretisch. Denn in der Umsetzung hybrider Meetings sieht die Realität oft anders aus: Durch unvermeidbare, wenn auch kleine Zeitverzögerungen in der Übertragung von Ton und Bild im Videocall, gestaltet es sich für Teammitglieder im Home Office häufig schwierig, ins Gespräch einzusteigen. Gerade in dynamischen Diskussionen passiert es schnell, dass sich der Schwerpunkt des Gesprächs ins Büro verlagert, während die zugeschalteten Teilnehmer:innen zu stillen Beobachtern werden. 

Ein weiterer beliebter Fehler: Die Ergebnisse des Meetings werden wie gewohnt lokal, zum Beispiel auf einem Whiteboard, festgehalten und sind für die Teilnehmer:innen im Home Office kaum einsehbar.

Um eine möglichst inklusive Meetingkultur zu gewährleisten, können folgende Tipps helfen:

  • Nutze digitale Kollaborationstools wie Miro, damit jede:r in Echtzeit zum Thema beitragen kann.
  • Stelle sicher, dass das technische Setup im Meetingraum für Videocalls mit mehreren Beteiligten geeignet ist und jeder zu jeder Zeit gehört und gesehen werden kann. Alternativ kann sich jedes Teammitglied selbst in das Meeting einwählen, um gleiche Voraussetzungen für alle zu schaffen.
  • Achte auf ausreichende Redepausen, vermeide bilaterale Nebengespräche und frage gezielt nach dem Input der zugeschalteten Teammitglieder.

Definiere klare Spielregeln für die hybride Zusammenarbeit

Der Erfolg hybrider Zusammenarbeit steht und fällt mit der Bereitschaft aller Beteiligten, sich auf gewisse Regeln zu verständigen – auch, wenn diese manchmal unbequem sind. Du kennst es sicher: Beim Smalltalk an der Kaffeemaschine entstehen oft die besten Ideen und bis zum nächsten Weekly hast Du vergessen, dass Du das Ergebnis auch noch mit den Teammitgliedern teilen wolltest, die an diesem Tag nicht im Büro waren.

Es braucht ein wenig Disziplin, ist aber am Ende nur eine Frage der Routine, das Informationsgefälle zwischen Büro und Home Office so gering wie möglich zu halten:

  • Stelle sicher, dass wichtige Informationen digital verfügbar sind und definiere Guidelines, welche Art der Kommunikation auf welchen Kanälen stattfindet. Wir im Herrmann-Team nutzen zum Beispiel Slack für die interne Kommunikation, wohingegen konkrete To-Dos auf Trello dokumentiert werden. Bilaterale Zwischenabsprachen bleiben natürlich nicht aus, relevante Informationen werden dann spätestens im nächsten Daily oder Weekly mit allen geteilt.
  • Verzichte auf spontane Meetings im Büro, sondern überlege vorab und unabhängig von der kurzfristigen Verfügbarkeit, wer bei Deinem Termin dabei sein sollte.
  • Wenn möglich, initiiere regelmäßige Treffen in Präsenz, um wichtige Themen vor Ort zu besprechen.

Schaffe Vertrauen im Team

Ob im Büro oder im Home Office: Vertrauen ist die Basis erfolgreicher Teamarbeit. Stichwort: Psychological Safety. Doch schleicht sich mit dem Proximity Bias in der virtuellen Zusammenarbeit manchmal ein weiterer Trugschluss ein: Präsenz = Produktivität.
Je präsenter ein Teammitglied im Büro ist, desto produktiver erscheint der- oder diejenige. Dass diese Rechnung nicht aufgeht, ist auf der rationalen Ebene offensichtlich. Dennoch braucht es auch hier Strategien, um eine vertrauensvolle Zusammenarbeit unabhängig vom Standort zu gewährleisten.

Das kann zum Beispiel so aussehen:

  • Hole regelmäßig Feedback von remote arbeitenden Teammitgliedern ein, ob sie sich eingebunden und wahrgenommen fühlen. Falls nicht, können regelmäßige One-on-ones eine gute Möglichkeit sein, im Austausch zu bleiben.
  • Misstrauen entsteht häufig durch mangelnde Kommunikation. Besonders in der hybriden Zusammenarbeit kommt die gern mal zu kurz. Fördere eine transparente Kommunikationskultur, in der jede:r gewillt ist, seine Ergebnisse und Erfolge, aber auch seine Misserfolge und Learnings zu teilen. Das Meeting-Format der “Retro” aus der agilen Sprintplanung kann ein schönes Element sein, um regelmäßig gemeinsam zurückzuschauen und abseits rein fachlicher Themen im Austausch zu bleiben.
  • Spreche offen über Deine Bedenken und höre die Sorgen Deiner Teammitglieder. Welche Herausforderungen seht ihr in der hybriden Zusammenarbeit?
  • Schaffe das Bewusstsein, dass wir alle kognitive Präferenzen mitbringen, mit denen unterschiedliche Bedürfnisse in der Zusammenarbeit einhergehen. Ein Blick auf Euer Teamprofil kann helfen, Eure Unterschiede und Gemeinsamkeiten besser zu verstehen und bei der Umsetzung einer hybriden Kultur zu berücksichtigen.

Spreche über das “Warum”

Je größer die räumliche Distanz, desto wichtiger die inhaltliche Nähe, gemeinsame Werte und Ziele. Wann haben Du und Dein Team zuletzt darüber gesprochen, was Euch antreibt? Welche gemeinsame Mission verfolgt Ihr und welchen Beitrag leistet jede:r einzelne dazu?

Falls die Frage nach dem “Warum” im Krisenmodus der Pandemie zu kurz gekommen ist, ist jetzt ein guter Zeitpunkt, sie wieder zu stellen. Denn die erfolgreichsten Teams sind nicht diejenigen, die gemeinsam im Großraumbüro sitzen, sondern die, die ihre unterschiedlichen Stärken und Kompetenzen zugunsten gemeinsamer Ziele einzusetzen wissen.

Podcast-Tipp:

Du möchtest tiefer ins Thema eintauchen? Im Podcast-Interview berichtet Herrmann Board-Mitglied Ann Herrmann-Nehdi, welchen Beitrag Whole Brain® Thinking im Kontext hybrider Arbeit leisten kann.